Nikulden in Burgas – eine Stadt, die schenkt statt zu kassieren
Der 6. Dezember in Burgas riecht nicht nach Glühwein und Bratwurst, sondern nach Meer, Fischsuppe und Holzkohle. Während in Deutschland der Nikolaustag irgendwo zwischen Supermarktregal und Weihnachtsmarktdeko verschwindet, ist er in Burgas ein echter Feiertag, ein Tag, an dem eine Stadt sich selbst ernst nimmt und ihren Menschen etwas zurückgibt. Hier ist Nikulden nicht nur eine folkloristische Fußnote, sondern der Moment, in dem die Kommune sichtbar zeigt, auf wessen Seite sie steht.
Gestern hat Burgas wieder vorgeführt, wie so etwas aussieht, wenn man es nicht als PR-Event, sondern als gelebte Praxis versteht. Die Stadt hat rund zwei Tonnen Fisch organisiert, dazu hunderte Kilo weitere Spenden, und daraus etwa 14.000 Portionen gegrillten Fisch und Kurban zubereiten lassen. Die gusseisernen Feldküchen der Marineköche kochten Fischsuppe vor den Augen der Menschen, verteilt wurde an mehreren Plätzen in der Innenstadt und in den Wohnvierteln, bis hinein in die Außenbezirke und Dörfer. Wer hier in der Schlange stand, war nicht „Zielgruppe“, sondern einfach Bürger dieser Stadt, vom Rentner mit kleiner Rente bis zur jungen Familie, vom Angler im dicken Parka bis zur Büroangestellten in der Mittagspause.
Damit überhaupt alle dorthin kommen konnten, hat Burgas an einem heiligen Tabu der modernen Stadtpolitik gerüttelt. Ab dem späten Vormittag waren die Busse des öffentlichen Nahverkehrs kostenlos, die blaue und die grüne Parkzone in der Innenstadt ebenfalls. Keine Tickets, kein Kleingeld-Gefummel, keine Parkscheinautomaten, keine Apppflicht, die Botschaft war entwaffnend schlicht. Kommt in die Stadt, feiert mit, holt euch Suppe und Fisch, seht euch die Konzerte an, seid Teil dieses Tages, heute verdient niemand an euch, heute gehört Burgas euch.
Während auf den Plätzen getanzt, gelacht und gegessen wurde, war der Vergleich mit Deutschland unausweichlich, dort ist der Nikolaus längst zu einer Marke geworden, die man auf Schokoladenfolie druckt und in Prospekten bewirbt. Kommunen vermieten teure Standplätze auf den Weihnachtsmärkten, die Betreiber kalkulieren mit Quadratmeterpreisen und Umsatzrenditen, die Politik spricht lieber über Sicherheitskonzepte und Sponsoren als über die Frage, ob sich arme Familien überhaupt noch einen Nachmittag auf dem Weihnachtsmarkt leisten können. Selbst dort, wo es „soziale Aktionen“ gibt, sind sie oft an Bedingungen, Gutscheine, Rabattcodes oder irgendwelche Förderlogiken gekoppelt. Die Geste wird vermarktet, bevor sie überhaupt beim Menschen ankommt.
Burgas geht an diesem Tag den umgekehrten Weg. Die Stadt nimmt Geld in die Hand, um etwas zu verschenken, das keinen unmittelbaren Return on Investment bringt, außer dem, der sich nicht in Excel-Zellen messen lässt. Soziale Wärme, das Gefühl, gesehen zu werden, das Wissen, dass man nicht unsichtbar ist, nur weil auf dem Konto am Monatsende nichts übrig bleibt. Wenn tausende Menschen gleichzeitig mit dampfenden Schalen in der Hand auf dem Platz stehen, entsteht etwas, das in einer konsumgetriebenen Gesellschaft selten geworden ist. Ein öffentlicher Raum, in dem man nicht zuerst Kunde ist, sondern Mensch.
Natürlich könnte jede größere deutsche Stadt theoretisch ähnliches tun. Es wäre für eine Metropole mit Milliardenhaushalt kein unlösbares Problem, an einem Tag im Jahr den öffentlichen Nahverkehr freizugeben und ein paar zehntausend warme Mahlzeiten auszugeben, aber genau dort liegt der Unterschied. In der deutschen Wirklichkeit würden sofort Kostenrechnungen, Zuständigkeitsfragen, Fördertopfdebatten und die Angst vor „Signalwirkungen“ aufpoppen. Man fürchtet den Präzedenzfall mehr als die Kälte im Gesicht der Menschen. Am Ende bleiben symbolische Aktionen und Pressetermine, sauber durchchoreografiert, budgetneutral und ungefährlich.
In Burgas hat der gestrige Nikolaustag noch einmal gezeigt, wie viel politisches Gewicht in scheinbar einfachen Entscheidungen steckt. Wenn eine Gemeinde beschließt, Parkgebühren auszusetzen und Busse freizugeben, stellt sie die Logik der Dauerbewirtschaftung des öffentlichen Raums für einen Moment auf Pause. Wenn sie Tonnen von Fisch zu kostenloser Suppe und gegrillten Portionen verarbeiten lässt und diese ohne große Worte verteilt, dann ist das ein stiller Affront gegen eine Zeit, in der jede soziale Geste sponsorenfähig, markenkonform und mediengerecht sein soll.
Vielleicht ist genau das der Grund, warum sich der 6. Dezember in Burgas so anders anfühlt als der Nikolaustag in Deutschland. Hier erlebt man eine Stadt, die ihren Bürgern etwas zutraut und etwas schenkt, ohne gleich an Kasse, Klickraten und Imagekampagne zu denken. Dort erlebt man oft Städte, die ihre Menschen eher als Publikum eines dauerhaften Weihnachtsmarktes behandeln, auf dem alles seinen Preis hat. Gestern hat Burgas gezeigt, dass es auch anders geht. Nicht perfekt, nicht als Heilsversprechen, aber als sehr konkrete Erinnerung daran, was eine Stadt sein kann, wenn sie ihre Feiertage nicht verkauft, sondern mit ihren Menschen teilt.
