6. Oktober 2025
Reuters

Nachrichtenagenturen – Seriosität ohne Wahrheit?

Reuters, AP, AFP oder dpa, diese Namen stehen seit Jahrzehnten für Seriosität im Nachrichtenwesen. Sie gelten als die unauffälligen, nüchternen Zulieferer, auf die sich Zeitungen, Fernsehsender und mittlerweile auch Onlineportale verlassen. Was sie über ihre Ticker verbreiten, gelangt in Sekunden in Redaktionen auf der ganzen Welt. Kaum eine Meldung wird hinterfragt, fast alles übernommen, doch gerade diese Machtstellung wirft Fragen auf.

Die großen Agenturen berichten nicht selbst aus jeder Ecke der Welt. Sie sind auf offizielle Quellen angewiesen, Regierungen, Ministerien, Polizei, Militär. Ihre Reporter sind selten Augenzeugen, oft fungieren sie eher als Übersetzer von Pressemitteilungen. Formal korrekt, sachlich formuliert, mit einem nüchternen Hinweis, wer etwas gesagt hat. Doch inhaltlich sind sie in vielen Fällen nicht mehr als Lautsprecher derjenigen, die ohnehin die Deutungshoheit beanspruchen.

Die Glaubwürdigkeit der Agenturen ist hoch, weil sie selten handwerkliche Fehler machen. Sie stimmen Uhrzeiten, Orte und Namen ab, ihre Sprache ist unaufgeregt, doch gerade das verleiht den Informationen ein Gewicht, das sie vielleicht nicht verdienen. Denn wenn ein Verteidigungsministerium oder eine Regierung eine Behauptung aufstellt, dann ist es in der Öffentlichkeit ein Unterschied, ob dies in einer Pressekonferenz gesagt wurde oder ob es in einer Reuters-Meldung steht. Der Stempel der Seriosität verwandelt eine Aussage in einen vermeintlichen Fakt.

Die Medienlogik verstärkt diesen Effekt, Redaktionen übernehmen Agenturmeldungen, manchmal gekürzt oder leicht umformuliert, aber selten mit eigenständiger Prüfung. Aus dem Konjunktiv „laut Angaben“ wird im journalistischen Alltag schnell ein Indikativ, aus einer Behauptung wird eine Realität. Je öfter die Meldung in unterschiedlichen Medien auftaucht, desto mehr verfestigt sich dieser Eindruck. Die Quelle wird unsichtbar, übrig bleibt die scheinbare Wahrheit.

Damit geraten Agenturen in eine paradoxe Rolle. Sie wollen neutral sein, sind aber strukturell abhängig von denselben Instanzen, deren Aussagen sie verbreiten. Gerade in Krisen, Kriegen oder politischen Auseinandersetzungen macht sie das anfällig für gezielte Manipulation. Informationen werden zur Waffe, und wer sie unkritisch weiterträgt, wird ungewollt Teil der Propaganda. Die Schnelligkeit, mit der Agenturen arbeiten müssen, verschärft das Problem. Es geht darum, zuerst zu berichten, nicht darum, am gründlichsten zu prüfen.

Die Folge ist eine Art Informationsblase. Politiker berufen sich auf Medienberichte, die wiederum auf Agenturmeldungen basieren, die letztlich nur offizielle Stellungnahmen reproduzieren. Damit schließt sich ein Kreis, in dem eine Behauptung allein durch Wiederholung zur Wahrheit wird. Die Agenturen werden so zu einem unsichtbaren Machtfaktor, dessen Einfluss kaum kontrolliert, geschweige denn kritisch hinterfragt wird.

Die Skepsis gegenüber Agenturen bedeutet nicht, ihnen pauschal Lügen zu unterstellen. Ihre Meldungen sind in der Regel handwerklich sauber, formell korrekt und weit entfernt von den wilden Verzerrungen des Boulevards. Aber Seriosität ist nicht gleich Wahrheit. Wer Agenturmeldungen liest, muss sich bewusst sein, dass sie selten unabhängig entstehen. Sie sind zuverlässig im Format, aber nicht im Inhalt. Die Unterscheidung zwischen überprüfter Tatsache und offizieller Behauptung verschwimmt, sobald sie über die Ticker laufen.

In einer Zeit, in der Information selbst zur Waffe geworden ist, reicht es nicht mehr, sich mit dem Hinweis „Reuters meldet“ zufrieden zu geben. Skepsis ist kein Zynismus, sondern notwendiger Selbstschutz. Wer verstehen will, wie Nachrichten entstehen, darf die Agenturen nicht als neutrale Beobachter verklären, sondern muss sie als das sehen, was sie sind, mächtige Filter, die den öffentlichen Diskurs prägen, aber auch durchlässig sind für jede Form der politischen Inszenierung.

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