
Haben Ärzte überhaupt noch Zeit für ihre Patienten? Die schonungslose Wahrheit
Wer heute in ein Wartezimmer tritt, ahnt schon, was ihn erwartet, ein überfüllter Raum, dutzende Patienten, genervte Gesichter, monotones Blättern in alten Zeitschriften. Dann das immer gleiche Spiel, zwei Stunden Warten für fünf Minuten im Behandlungszimmer. Fünf Minuten, in denen der Arzt hastig durch den Computer klickt, Blutwerte überfliegt, Rezepte ausdruckt und nebenbei ein halbes Ohr für das Anliegen seines Gegenübers hat. Die entscheidende Frage drängt sich auf, haben Ärzte überhaupt noch Zeit für ihre Patienten?
Die bittere Wahrheit lautet, nein, zumindest nicht in dem Maße, wie es die meisten Menschen erwarten. Der Beruf, der einst als Inbegriff menschlicher Zuwendung und heilender Fürsorge galt, ist in weiten Teilen zu einem bürokratischen Mühlrad verkommen. Ärzte sind längst keine Heiler mehr, sondern Verwalter von Formularen, Diagnoseschlüsseln und Abrechnungscodes. Der Patient ist nur noch ein Posten in der Statistik, ein Fall, der durch das System geschleust werden muss, bevor die nächste Nummer aufgerufen wird. Wer als Patient Zeit, Aufmerksamkeit und echte menschliche Nähe erwartet, wird heute fast zwangsläufig enttäuscht.
Das perfide daran ist, dass es den Ärzten selbst kaum besser geht, die meisten sind Opfer desselben Systems, das ihre Patienten frustriert. Die Zahl der Patienten, die ein niedergelassener Arzt am Tag zu bewältigen hat, steigt stetig. Dreißig, vierzig, manchmal mehr als sechzig Fälle an einem einzigen Arbeitstag sind keine Seltenheit. Wer da noch jedem Patienten zuhören, nachhaken, erklären und beruhigen will, gerät sofort in Verzug. Die Folge ist ein Teufelskreis, je kürzer die Sprechzeiten, desto größer die Unzufriedenheit. Je mehr Frust sich aufstaut, desto härter wird der Ton zwischen Arzt und Patient, Vertrauen, das wichtigste Gut in der Medizin, bröckelt leise dahin.
Hinzu kommt die allgegenwärtige Digitalisierung, die angeblich Entlastung bringen sollte, in Wahrheit aber häufig neue Hürden schafft. Elektronische Akten, E-Rezepte, Abrechnungssysteme, alles soll schneller, effizienter, besser werden. Doch während die Technik die Hand des Arztes bindet, sitzt der Patient vor ihm und fühlt sich abwesend behandelt. Der Bildschirm hat die Blickkontakte ersetzt, der Cursor das aufmerksame Gespräch. Ein Arzt, der mehr in die Tastatur starrt als in die Augen seines Patienten, verkörpert die Misere der modernen Medizin wie kaum etwas anderes.
Es wäre allerdings zu einfach, die Schuld allein den Ärzten zuzuschieben. Die Wahrheit ist, dass ein System krank geworden ist, das eigentlich heilen sollte. Krankenkassen, Politik, ökonomischer Druck, all das sorgt dafür, dass die Zeit für den einzelnen Menschen immer knapper wird. Der Arzt von heute muss nicht nur heilen, er muss rechnen, dokumentieren, nachweisen, abrechnen, rechtfertigen. Wer da noch Idealismus zeigt, läuft Gefahr, auszubrennen. Die Burnout-Quoten unter Ärzten sprechen eine deutliche Sprache.
Der Patient bleibt dabei auf der Strecke. Viele resignieren, nehmen ihre Fünf-Minuten-Diagnose hin und googeln den Rest zuhause. Andere suchen Zuflucht in alternativen Heilmethoden, wo man ihnen wenigstens noch zuhört, selbst wenn die Therapie wissenschaftlich fragwürdig ist. Das ist die vielleicht gefährlichste Folge dieser Entwicklung. Wenn die Schulmedizin den Menschen das Gefühl nimmt, ernst genommen zu werden, dann öffnen sich Türen für Scharlatane und Pseudowissenschaft. Ein gefährliches Vakuum entsteht, in dem Vertrauen und Vernunft gleichermaßen verschwinden.
Am Ende muss man nüchtern feststellen, Ärzte haben heute in den seltensten Fällen noch Zeit für ihre Patienten. Sie haben Zeit für Diagnoseschlüssel, für Formulare, für die Abrechnung mit den Kassen, aber für die eigentliche Aufgabe, für das Zuhören, das Verstehen, das Gespräch, bleibt fast nichts übrig. Die Medizin hat sich vom Menschen entfernt und dem System untergeordnet. Wer heute krank ist, braucht nicht nur einen guten Arzt, sondern vor allem Geduld, starke Nerven und die Fähigkeit, zwischen den Zeilen der hastigen Sätze die Wahrheit über den eigenen Körper zu erkennen.
Die schonungslose Wahrheit lautet, wir haben ein Gesundheitssystem, das den Patienten zwar verwaltet, aber nicht mehr wirklich betreut und solange Zeit als Kostenfaktor gilt, wird sich daran nichts ändern.
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