
Gesellschaft im Zerfall – Wie aus Menschen Meinungszombies wurden
Irgendetwas ist zerbrochen. Und ich rede nicht von Politik oder Wirtschaft – ich rede von den Menschen. Von der Gesellschaft. Von dem, was einmal Zusammenhalt war, Diskurs, Anstand, Respekt.
Heute begegnet mir eine Welt, in der jeder nur noch sendet, aber niemand mehr zuhört. In der alle alles wissen, aber keiner mehr nachdenkt. In der die Wahrheit keine Rolle mehr spielt – Hauptsache, sie passt ins eigene Weltbild.
Was ist passiert? Wie konnten wir uns in so kurzer Zeit so weit voneinander entfernen? Wie konnten wir uns so tief in ideologische Löcher graben, dass wir nicht mal mehr sehen, was um uns herum brennt?
Die Dummheit ist laut geworden. Und stolz.
Früher hatte man Respekt vor Intelligenz. Heute wird sie belächelt, angegriffen, weggedrückt – ersetzt durch gefühlte Wahrheiten, TikTok-Halbwissen und Telegram-„Experten“. Plötzlich ist jeder ein Virologe, ein Kriegsstratege, ein Pädagoge, ein Systemkritiker, ein Freiheitskämpfer. Die Fakten? Irrelevant. Hauptsache, es fühlt sich gut an. Hauptsache, man hat „Recht“.
Und wehe, du stellst Fragen. Dann bist du entweder ein Mitläufer, ein Schlafschaf, ein linksversiffter Gutmensch oder gleich ein Nazi – je nachdem, wen du fragst. Die Mitte? Gibt’s nicht mehr. Nur noch Fronten.
Wir leben nicht mehr in einer Diskussionskultur – wir leben in einer Meinungskultur, in der jede Meinung gleich viel wert sein soll. Auch die dümmste. Auch die gefährlichste. Aber Meinungen sind kein Ersatz für Wissen. Und nicht alles, was gesagt wird, verdient Gehör.
Wir verwechseln Lautstärke mit Argument. Follower mit Substanz. Betroffenheit mit Wahrheit.
Es geht nicht mehr um Austausch – es geht um Sieg. Nicht um Erkenntnis – sondern ums Übertrumpfen. Nicht um das bessere Argument – sondern um das bessere Meme.
Was wir verloren haben, ist kaum zu greifen – aber schmerzlich spürbar. Wo sind sie hin, die scharfsinnigen Denker, die klugen Köpfe, die souveränen Gesprächspartner? Die, die man nicht anschreien musste, um gehört zu werden. Die, die fragten, bevor sie antworteten. Die, die auch mal sagten: „Da hab ich mich geirrt.“
Weg. Vergraben unter der Lawine aus Empörung, Moralin, Wutbürgern, Lifestyle-Extremisten und Internet-Trollen mit Realitätsallergie.
Was wir erleben, ist nicht einfach nur Spaltung. Es ist ein kontrollierter Kontrollverlust. Angetrieben von Algorithmen, Clickbait, politischen Rattenfängern und wirtschaftlichen Interessen, die sich daran dumm und dämlich verdienen, dass wir uns gegenseitig zerfleischen.
Und wir machen mit. Widerstandslos. Rechthaberisch. Selbstverliebt.
Wir füttern Systeme, die uns verdummen. Wir teilen Inhalte, die uns spalten. Wir glauben Dinge, die wir nicht mal verstanden haben – Hauptsache, sie bestätigen unsere Weltsicht.
Ist das Bildung? Ist das Erziehung? Oder ist es schlicht Dekadenz?
Vielleicht ist es alles zusammen. Vielleicht ist es die Folge einer Gesellschaft, die alles hat – und deshalb nichts mehr zu verlieren glaubt. Die vergessen hat, was es heißt, sich etwas zu erarbeiten. Zu zweifeln. Verantwortung zu übernehmen.
Bildung wird degradiert zur Meinung. Wissenschaft zur Ideologie. Journalismus zur Propaganda – solange er nicht das sagt, was man hören will.
Kinder wachsen auf mit Bildschirmen statt Gesprächen. Mit Likes statt Leistung. Mit Vorbildern, die tanzen, aber nicht denken.
Die Frage ist nicht mehr: Wo führt das hin?
Die Frage ist: Wann ist es zu spät? Wann kippt die Stimmung endgültig? Wann wird aus Meinungsfreiheit eine Waffe? Wann aus Spaltung ein Bürgerkrieg – erst im Netz, dann auf der Straße?
Dieser Text ist kein Versuch zu versöhnen. Kein „wir müssen uns alle wieder liebhaben“. Dieser Text ist ein Schlag in die Fresse – verdient, notwendig, überfällig.
Denn wer jetzt noch schweigt, macht sich mitschuldig. Wer jetzt noch wegsieht, verliert den Blick. Und wer jetzt noch glaubt, es wird schon wieder gut, hat nicht verstanden, was hier gerade passiert.
Wir brauchen wieder Menschen, die denken, bevor sie reden. Die prüfen, bevor sie glauben. Die zweifeln, bevor sie urteilen.
Und wir brauchen sie schnell.
Sonst bleibt bald nur noch das Echo derer, die sich selbst am liebsten reden hören.