6. Oktober 2025
Wohlstandsbürger

Die Heuchelei der Wohlstandsbürger

Die westlichen Gesellschaften sonnen sich in dem Bild, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Sie betrachten sich als moralische Instanz, als Verteidiger der Menschenrechte und als Hüter der Freiheit. Wer in Europa oder Nordamerika lebt, wird mit dem ständigen Narrativ gefüttert, dass man hier das Maß aller Dinge sei, dass Fortschritt, Demokratie und Zivilisation in der westlichen Lebensweise kulminieren. Doch während sich diese Gesellschaften gegenseitig für ihre Tugendhaftigkeit beklatschen, liegen die Abgründe offen, und die Selbstinszenierung verdeckt kaum noch, wie wenig Substanz hinter den hohen Worten steckt.

Der Wohlstandsbürger inszeniert sich in einer widersprüchlichen Doppelrolle. Einerseits lebt er im Überfluss, gönnt sich Reisen in ferne Länder, häuft materielle Güter an, fotografiert sich vor voll gedeckten Tischen und neuen Konsumgütern. Andererseits predigt er von einem moralischen Podest herab, verurteilt andere Länder, andere Kulturen, ganze Völker, weil diese angeblich nicht die gleichen Werte teilen. Es ist eine Pose, die bequem funktioniert, solange die eigene Bequemlichkeit nicht angetastet wird. Während man billig produziert Kleidung trägt, Smartphones aus ausbeuterischen Lieferketten nutzt und Billigflüge in Anspruch nimmt, wird gleichzeitig über Menschenrechte, Klimapolitik und Gerechtigkeit schwadroniert.

Die Doppelmoral wird nirgendwo so deutlich wie im Umgang mit globalen Krisen. Wenn ein Krieg in der Nähe stattfindet, rufen die Wohlstandsgesellschaften nach Solidarität, liefern Waffen, zeigen Flagge auf Social Media. Sobald das Elend aber weiter weg liegt, in Regionen, die nicht in die eigene strategische oder wirtschaftliche Bedeutung fallen, verstummen die Stimmen. Gaza interessiert nur, wenn die Bilder zu grausam sind, um sie zu übersehen, und selbst dann werden sie eingeordnet, relativiert, verdrängt. Der Flüchtling vor der Haustür ist schnell ein Problem, während man gleichzeitig in Sonntagsreden die Würde jedes Menschen beschwört.

Dieses System lebt von einer systematischen Verdrängung. Der westliche Wohlstandsbürger weiß, dass sein Lebensstil auf Kosten anderer existiert. Er weiß, dass seine billige Kleidung unter menschenunwürdigen Bedingungen produziert wird, dass die Elektronik in seinen Händen aus Rohstoffen stammt, die in afrikanischen Minen unter brutalen Bedingungen gefördert werden. Er weiß, dass der Planet den Preis für seinen Konsum zahlt, doch anstatt diese Wahrheit anzuerkennen, flüchtet er in die bequeme Lüge, dass es ohne ihn noch schlimmer wäre, dass er durch seine moralischen Worte irgendwie auf der richtigen Seite stehe.

In Wahrheit ist die westliche Gesellschaft nicht die moralische Avantgarde, sondern der Inbegriff von Heuchelei. Sie ist nicht bereit, ihren Lebensstandard ernsthaft infrage zu stellen, sie ist nicht bereit, Verzicht zu üben oder ihre Machtposition aufzugeben. Sie schwelgt im Luxus und inszeniert sich gleichzeitig als Opfer, wenn minimale Einschränkungen gefordert werden. Der Bürger, der mit billigen Charterflügen um die Welt reist, der im Winter bei 23 Grad im Wohnzimmer sitzt und der im Supermarkt zwischen hundert Produkten wählt, betrachtet sich selbst als tugendhaft, wenn er ein paar Cent für eine wohltätige Organisation spendet oder einen empörten Kommentar im Internet hinterlässt.

Die größte Gefahr dieser Haltung liegt darin, dass sie nicht als Heuchelei erkannt werden will. Der Wohlstandsbürger hält seine Moral für authentisch, seine Empörung für gerecht, seine Worte für wirksam. Doch in Wahrheit ist er Zuschauer in einem Theater, das längst seine eigene Bühne verschlungen hat. Er lebt im Überfluss und redet von Verzicht, er verteidigt die Freiheit und duldet Überwachung, er predigt Menschenrechte und schaut weg, wenn sie massenhaft verletzt werden.

Die Heuchelei der Wohlstandsbürger ist kein Randphänomen, sie ist das Fundament westlicher Gesellschaften. Sie prägt Politik und Kultur, sie nährt die Selbstüberzeugung, überlegen zu sein, doch diese Fassade bröckelt. Immer mehr Menschen außerhalb des Westens sehen, wie wenig die westlichen Werte tatsächlich wert sind, wenn sie den eigenen Interessen im Weg stehen. Die Folge ist ein Vertrauensverlust, der unaufhaltsam wächst.

Der Westen predigt Moral, lebt aber Luxus, er ruft nach Menschenrechten, solange er selbst davon profitiert. Er stellt sich als Vorbild dar, während er auf den Schultern jener steht, deren Elend er zugleich ignoriert. Das ist die Wahrheit, die keine Gesellschaft lange verdrängen kann. Früher oder später wird das Wohlstandsmodell an seiner eigenen Verlogenheit zerbrechen, weil kein System dauerhaft bestehen kann, das so konsequent das Gegenteil von dem lebt, was es predigt.

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