
Pflegegrad 1 vor der Streichung? Wie die Politik auf Kosten der Schwächsten sparen will
Die Meldung schlug ein wie ein Schlag ins Gesicht für Hunderttausende Betroffene und ihre Familien. Hinter verschlossenen Türen wird in Berlin offenbar ernsthaft erwogen, den Pflegegrad 1 zu streichen. Was wie eine technische Anpassung klingt, ist in Wahrheit ein Angriff auf die schwächsten Glieder der Gesellschaft, Menschen, die gerade erst beginnen, ihre Selbstständigkeit zu verlieren, häufig in frühen Stadien einer Demenz, und ihre Angehörigen, die jeden Tag am Limit kämpfen.
Die Begründung der Befürworter ist durchsichtig. Die Pflegeversicherung steht vor einer Finanzierungslücke, für das Jahr 2026 wird ein Defizit von rund zwei Milliarden Euro prognostiziert. Die Streichung von Pflegegrad 1 würde nach internen Berechnungen Einsparungen von etwa 1,8 Milliarden Euro bringen. Ein Schelm, wer da nicht an den einfachsten aller Rechentricks denkt, die Lücke mit dem Rotstift bei denen schließen, die sich am wenigsten wehren können. Genau diese Rechnung machen manche Kräfte in der Koalition gerade auf.
Dabei wird verschwiegen, was Pflegegrad 1 in der Praxis bedeutet. Hier gibt es kein klassisches Pflegegeld, sondern konkrete Entlastungen, die jeden Tag spürbar sind. 131 Euro im Monat für haushaltsnahe Unterstützung, 42 Euro für Pflegehilfsmittel wie Handschuhe oder Desinfektion, Zuschüsse bis 4.180 Euro für den Umbau von Badezimmern oder barrierefreien Zugängen. Für Betroffene sind es diese kleinen Bausteine, die den Alltag sichern. Ohne sie rutschen Familien schneller in totale Überlastung, und das System zahlt am Ende ungleich mehr, in höheren Pflegegraden, in Kliniken, in Heimen. Genau darauf weisen Verbände seit Jahren hin.
Die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft warnt vor einer „Gefährdung der Versorgungssicherheit“. Patientenschützer, Sozialverbände und Pflegedienste schlagen Alarm, weil sie genau wissen, was auf der Kippe steht. Wer an der Eingangstür spart, verschiebt die Kosten ins Morgen, nur ungleich teurer. Es geht nicht um eine Kleinigkeit, es geht um rund 860.000 Menschen, die aktuell mit Pflegegrad 1 eingestuft sind. Eine Million Schicksale, wenn man die Familien mitzählt.
Politisch wird das Thema zur Zerreißprobe. Teile der Union signalisieren Bereitschaft zum Schnitt, während die SPD öffentlich abwinkt und erklärt, dass Leistungskürzungen in der Pflege nicht infrage kommen. Doch wer die Geschichte deutscher Sozialpolitik kennt, weiß, schon oft wurden Leistungen gegen Protest gestrichen, wenn der Haushaltsdruck hoch genug war. Dass dieselben Parteien, die Milliarden für Rüstung und Subventionen aufbringen, nun plötzlich bei den Pflegebedürftigen den Rotstift ansetzen, ist nichts anderes als eine moralische Bankrotterklärung.
Noch ist nichts beschlossen, noch gilt der Anspruch auf die genannten Leistungen, doch die Debatte zeigt, wie wenig Respekt die politische Klasse vor den Realitäten pflegender Angehöriger hat. Pflegegrad 1 ist kein Luxus, er ist die minimale Anerkennung einer beginnenden Abhängigkeit. Wer diese Stufe streicht, signalisiert, Prävention ist uns nichts wert, Stabilität der Familien ist uns nichts wert, Menschen mit Demenz sind uns nichts wert.
Es wäre nicht das erste Mal, dass Politiker solche Schweinereien durchdrücken, die Erfahrung lehrt, dass sie es können, wenn sie es wollen. Die Frage ist, ob die Öffentlichkeit diesmal stillhält oder begreift, was hier gespielt wird. Es geht nicht nur um Zahlen im Bundeshaushalt, es geht um Würde und Würde sollte nicht verhandelbar sein.
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