6. Oktober 2025
Die weißen tauben

Die weißen Tauben sind müde – ein Lied, das uns heute lauter anklagt als damals

Es gibt Lieder, die sich aus der Zeit herauslösen und zu ständigen Begleitern werden. Für mich gehört Hans Hartz mit „Die weißen Tauben sind müde“ genau dazu. Der Song entstand Anfang der Achtziger, mitten in der Friedensbewegung, als Antwort auf eine Welt, die von atomarer Aufrüstung und Kriegsangst geprägt war. Hartz verlieh dem Text eine Stimme, die rau, verletzlich und zugleich anklagend klang und machte daraus ein Stück, das sich tief in das kollektive Gedächtnis eingebrannt hat.

Ich habe in den letzten Jahrzehnten immer wieder an diesen Text gedacht. Immer dann, wenn sich die Welt erneut ins Unheil stürzte, wenn Kriege aufflammten, wenn das Gerede über Härte und Eskalation wieder lauter wurde, klangen mir die Worte im Ohr. Und manchmal höre ich mir den Song ganz bewusst an, wenn mir danach ist. Er wirkt wie ein Spiegel, der gnadenlos zeigt, dass die weißen Tauben nicht ausgeruht haben, sondern dass sie bis heute erschöpft am Boden liegen.

Gerade in unserer Zeit ist das Lied aktueller denn je. Während Politiker Stärke inszenieren und Friedensappelle in den Hintergrund treten, wirkt die Metapher fast erschreckend frisch. Die Falken, von denen der Text spricht, sind zurück, stärker, zahlreicher, dominanter. Sie füllen die Schlagzeilen, während die Symbole des Friedens schwach geworden sind.

Das ist die eigentliche Größe dieses Liedes, es ist kein nostalgisches Relikt der Achtziger, sondern eine zeitlose Mahnung. Es polarisiert, weil es jedem Hörer die Frage stellt, ob wir überhaupt noch die Kraft haben, die weißen Tauben wieder fliegen zu lassen, oder ob wir uns endgültig der Logik der Falken ergeben.

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