6. Oktober 2025
Europäische kommision

Europas Glaubwürdigkeitskrise – Die EU zwischen Anspruch und Realität

Die Europäische Union versteht sich seit Jahrzehnten als Wertegemeinschaft. Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, diese Begriffe bilden das Fundament ihres Selbstverständnisses. Doch gerade in Zeiten globaler Krisen wird immer deutlicher, wie schwer es der EU fällt, diese Prinzipien in konsequente Außenpolitik zu übersetzen. Kritik an der Europäischen Kommission und ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen häuft sich, und sie zielt auf eine wachsende Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Besonders deutlich zeigt sich das derzeit am Krieg in Gaza. Während die EU im Ukraine-Krieg eine klare Linie gefunden hat, wirken ihre Reaktionen auf die Eskalationen im Nahen Osten schwankend und zögerlich. Von der Leyen steht unter Druck, eine eindeutige Haltung gegenüber Israel zu formulieren. Kritiker werfen ihr vor, sich zu sehr auf diplomatische Floskeln zu beschränken und Sanktionen oder eine Suspendierung bestehender Abkommen nicht entschieden genug voranzutreiben. Über dreihundert ehemalige EU-Diplomaten forderten in einem offenen Brief, das Kooperationsabkommen mit Israel auszusetzen und die Anerkennung Palästinas ernsthaft zu prüfen. Solche Forderungen treffen die Kommission ins Mark, weil sie das Image einer Union belasten, die gerne mit moralischem Anspruch auftritt, im Ernstfall aber vor klaren Schritten zurückschreckt.

Ein weiteres Feld, auf dem die EU in die Defensive geraten ist, betrifft ihre Partnerschaften mit autoritären Staaten. Das Hilfspaket für Tunesien wurde von Abgeordneten als „Bankrolling of dictators“ kritisiert, weil Gelder ohne hinreichende Bedingungen freigegeben wurden. Auch Programme zur Eindämmung von Migration in Afrika stehen im Verdacht, Korruption und Menschenrechtsverletzungen eher zu befördern als zu verhindern. Der Europäische Rechnungshof wies wiederholt auf diese Risiken hin. Für viele Beobachter beschädigt dies die Glaubwürdigkeit der EU schwer, statt als Garant für Rechtsstaatlichkeit aufzutreten, erscheint sie als Pragmatikerin, die bereit ist, ihre eigenen Werte für kurzfristige politische Ziele zurückzustellen.

Dazu kommt ein strukturelles Problem, das die Kommission kaum lösen kann, die Zerrissenheit der Mitgliedstaaten. Während einige Länder eine härtere Gangart gegenüber Staaten wie Israel oder Russland fordern, setzen andere auf Zurückhaltung oder blockieren Entscheidungen ganz. Diese Uneinigkeit zwingt die Kommission regelmäßig zu Kompromissen, die in den Augen vieler Kritiker nach Beliebigkeit oder Inkonsequenz aussehen. Die Folge ist eine Außenpolitik, die nur dort Stärke zeigt, wo die Mitgliedstaaten weitgehend einig sind, wie im Fall der Ukraine und ansonsten an Schärfe verliert.

Die Europäische Union steht damit vor einem Dilemma. Ihr Selbstverständnis als normative Macht lässt sich nur behaupten, wenn Worte und Handlungen im Einklang stehen. Zugleich machen die Realität globaler Machtpolitik und die eigenen institutionellen Zwänge es nahezu unmöglich, überall gleich konsequent aufzutreten. Von der Leyen und ihre Kommission geraten deshalb zunehmend in die Kritik, nicht weil sie keine Politik machen, sondern weil ihre Politik von außen wie ein ständiges Lavieren wirkt.

Ob die EU ihre Glaubwürdigkeitskrise überwinden kann, hängt weniger von Einzelpersonen ab, sondern von ihrer Fähigkeit, Geschlossenheit herzustellen. Ohne klaren Konsens bleibt die Kommission gefangen zwischen moralischen Ansprüchen und pragmatischen Notwendigkeiten. Solange diese Spannung ungelöst bleibt, werden Zweifel an ihrer Führungsstärke und Verlässlichkeit nicht verstummen.

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