6. Oktober 2025
Schach mit der wahrheit

Feuer auf dem Schachbrett – Warum politische Märchen brandgefährlich sind

Es gibt Momente, in denen man glaubt, eine Schlagzeile sei direkt aus einem schlechten Politthriller entnommen. Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission, spricht von einem gefährlichen GPS-Ausfall, mutmaßlich ausgelöst durch Russland, während ihr Regierungsflieger im September über Bulgarien unterwegs war. Ein Fall von elektronischer Kriegsführung mitten in Europa, ein Angriff auf die Sicherheit der Union, so zumindest die Darstellung. Dramatisch, gefährlich, ein willkommenes Symbol für die Gefährdung durch den „Feind im Osten“. Doch nur wenige Stunden später zerplatzt die Geschichte wie eine Seifenblase. Flightradar24 und andere Dienste belegen, der Flug hatte keinerlei ernsthafte Störung, die Route verlief normal, die Verspätung betrug wenige Minuten, nicht eine Stunde. Was als geopolitischer Skandal begann, entlarvte sich als Übertreibung, wenn nicht gar als gezielte Inszenierung.

Die Frage drängt sich auf, wer erfindet solche Geschichten, und warum? Sind die politischen Eliten tatsächlich so verkommen, dass sie glauben, mit Halbwahrheiten und Dramatik die Öffentlichkeit in eine gewünschte Stimmung versetzen zu können? Der Fall reiht sich nahtlos ein in eine lange Tradition von Übertreibungen, Manipulationen und strategisch eingesetzten „Fehlmeldungen“.

Ein Blick zurück zeigt, dass diese Methode nicht neu ist. Man denke an die angeblichen „Brutkastenbabys“ von Kuwait im Jahr 1990. Eine weinende junge Frau berichtete vor laufenden Kameras, irakische Soldaten hätten Babys aus Brutkästen gerissen und sterben lassen. Die Geschichte entfachte weltweit Empörung und trug entscheidend dazu bei, dass die USA und ihre Verbündeten in den Golfkrieg zogen. Später stellte sich heraus, das Mädchen war die Tochter des kuwaitischen Botschafters in Washington, und die ganze Erzählung war eine PR-Inszenierung.

Oder die „Massenvernichtungswaffen“ im Irak, die 2003 von der US-Regierung als Kriegsgrund herangezogen wurden. Satellitenbilder, Geheimdienstberichte, angebliche Laboranlagen, alles schien Beweise zu liefern. Heute wissen wir, es war eine Lüge. Doch sie erfüllte ihren Zweck, Zustimmung für den Krieg, Zerstörung eines Regimes, das Washington nicht mehr passte.

Auch im kleineren Maßstab gibt es diese Fälle immer wieder. 2014 kursierten Berichte über ein angeblich in der Ostukraine von Separatisten gekreuzigtes Kind, ein Propaganda-Märchen, das später keine Grundlage in der Realität hatte. In der europäischen Innenpolitik werden kleinere Varianten gespielt, dramatisierte Sicherheitslagen, überzeichnete Bedrohungen, künstlich aufgeblasene Affären.

Die Muster sind stets dieselben, erstens die Behauptung, möglichst spektakulär, emotional, bedrohlich. Zweitens die sofortige mediale Verbreitung, die jede nüchterne Prüfung überrollt. Drittens die Korrektur, die oft erst Tage später kommt und in den Tiefen der Zeitungsseiten verschwindet. Das Erste brennt sich in die Köpfe, das Zweite verpufft. Der Schaden oder die gewünschte Wirkung ist längst angerichtet.

Im Fall von Ursula von der Leyen war es kein Krieg, kein Kind, kein Massengrab, sondern ein angeblicher GPS-Angriff. Doch das Prinzip ist identisch. Eine EU, die ihre Bürger immer stärker auf Konfrontation mit Russland einschwört, profitiert von der Schlagzeile „Putin greift von der Leyens Flugzeug an“. Wer will da noch über interne EU-Skandale, Korruptionsaffären oder politische Versäumnisse sprechen? Der „äußere Feind“ ist die einfachste aller Ablenkungen.

Ob es bewusste Manipulation oder unbedachtes Aufspringen auf einen Vorfall war, das Ergebnis ist gleich. Die Öffentlichkeit wird verunsichert, das Vertrauen in Politik und Medien weiter untergraben. Wer einmal erlebt, wie eine solche Geschichte binnen Stunden zusammenfällt, fragt sich, was kann man überhaupt noch glauben? Wie viele Nachrichten sind nur Teil eines Spiels, bei dem Machtinteressen über Wahrheitsliebe stehen?

Vielleicht ist genau das der Punkt. Wir leben in einer Zeit, in der Fiktion und Realität verschwimmen. Geschichten, die wie Stoff für einen Roman wirken, werden uns als Wahrheit verkauft und manchmal sind Romane ehrlicher als die Pressemitteilungen der Mächtigen.

Die GPS-Episode von Bulgarien wird in den Geschichtsbüchern wohl nur eine Randnotiz bleiben. Doch sie ist ein Symptom, ein kleines Beispiel für die große Krankheit, den leichtfertigen Umgang mit Wahrheit, wenn es um politische Ziele geht. Das Vertrauen der Bürger wird dafür billig geopfert. Und am Ende wundern sich dieselben Politiker, warum niemand mehr zuhört.

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