
Brüssel und Berlin – Europas Demokratie im Würgegriff der Lobbyisten
Wenn Politiker in Brüssel oder Berlin von „unserer Demokratie“ sprechen, klingt es wie ein Mantra. Bürger sollen glauben, sie hätten Einfluss, ihre Stimme zähle, ihre Vertreter arbeiteten an Lösungen für das Gemeinwohl. Doch wer sich die Mühe macht, hinter die Kulissen zu schauen, erkennt schnell: Demokratie ist hier oft nur eine Kulisse. Die eigentlichen Strippenzieher sitzen nicht auf den Parlamentssesseln, sondern in klimatisierten Kanzleibüros und gläsernen Konzernzentralen. Der wahre Gesetzgeber in Europa heißt nicht „Parlament“, sondern „Lobby“.
Die Lobby-Hauptstadt Brüssel
Brüssel gilt offiziell als Hauptstadt Europas. Inoffiziell ist es die größte Lobby-Hauptstadt der Welt nach Washington. Schätzungen zufolge tummeln sich dort mehr als 25.000 Lobbyisten – mehr Menschen, als die EU-Kommission, der Rat und das Parlament zusammen an Beamten beschäftigen. Ein Heer an Anwälten, PR-Spezialisten und Strategen, finanziert von Konzernen und Verbänden, deren einziger Zweck es ist, politische Entscheidungen zu beeinflussen.
Laut Transparency International fließen dafür jährlich über 1,8 Milliarden Euro in Brüssel – in Kampagnen, Abendessen, Konferenzen, „Studien“ und direkte Kontakte. Konzerne wie Google, Amazon, Bayer oder BASF betreiben dort eigene „Botschaften“, die professioneller aufgestellt sind als manch europäische Regierung.
Die Folge: Während der Bürger glaubt, die Kommission entwerfe Gesetze im Auftrag Europas, stammt ein Großteil der Texte aus den Federn eben jener Lobbyapparate. Studien zeigen, dass zwischen 70 und 80 Prozent der Gesetzesentwürfe in Brüssel deutliche Handschrift von Lobbygruppen tragen.
Berlin – kein bisschen sauberer
Wer glaubt, in Berlin sei es anders, täuscht sich. Dort sind derzeit über 5.000 Lobbyisten offiziell registriert – und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Das Lobbyregister, eingeführt nach jahrelanger Kritik, ist lückenhaft und voller Schlupflöcher. Viele einflussreiche Akteure, etwa externe Kanzleien oder Verbände, erscheinen dort nicht.
Besonders gefährlich ist der sogenannte „Drehtüreffekt“: Politiker wechseln nach ihrer Amtszeit direkt in hochbezahlte Konzernjobs. Ronald Pofalla, früher Kanzleramtsminister, heuerte bei der Deutschen Bahn an. Sigmar Gabriel, ehemaliger Vizekanzler, beriet nebenbei die Fleischindustrie (Tönnies) und arbeitete für die Deutsche Bank. Diese Übergänge sind nicht Ausnahme, sondern System. Wer als Minister bestimmte Entscheidungen trifft, darf sich nach Amtszeit auf den „Dank“ in Form von lukrativen Beraterverträgen freuen.
Wie Gesetze wirklich entstehen
Offiziell läuft es so: Die Kommission erarbeitet Vorschläge, das Parlament debattiert, die Bürger profitieren. In Wahrheit jedoch beginnt vieles bereits am Konferenztisch von Lobbyverbänden. Dort werden Gesetzesformulierungen entwickelt, die später – leicht umgeschrieben – den Weg in offizielle Entwürfe finden.
Ein prominentes Beispiel: Glyphosat. Trotz massiver Gesundheitsbedenken und Proteste verlängerte die EU 2023 die Zulassung. Wer setzte sich durch? Bayer und Monsanto, unterstützt von einem Stab an Lobbyisten, die unermüdlich Einfluss nahmen. Wissenschaftliche Gegenstimmen? Sie hatten gegen die PR-Macht der Konzerne keine Chance.
So entsteht der Eindruck einer „Republik der Berater“. Der demokratische Prozess ist zur Abnick-Maschine geworden, in der Parlamente nur noch legitimieren, was in Hinterzimmern längst beschlossen wurde.
Transparenz als Feigenblatt
Um die Kritiker zu beruhigen, wurde 2011 das EU-Transparenzregister eingeführt. Doch dieses Instrument wirkt wie ein Placebo. Eintragen muss sich nur, wer will – und viele wichtige Player umgehen es geschickt. Treffen zwischen Kommissaren und Lobbyisten finden informell statt: beim Abendessen, auf einer Konferenz, in privaten Runden. Die Protokolle bleiben unter Verschluss oder werden nie erstellt.
Das Resultat: Offiziell gibt es Transparenz, in Wirklichkeit bleibt die dunkle Machtarchitektur bestehen. Bürger sollen glauben, man habe die Kontrolle – dabei ist der Lobbyismus geschickter und einflussreicher denn je.
Warum das gefährlich ist
Ein Lobbyist hat im Zweifel zehnmal so viel Zugang zu Politikern wie ein normaler Bürger. Während kleine Betriebe um Termine bei Abgeordneten kämpfen, haben die Cheflobbyisten der Industrie direkten Draht zu Ministerien und Ausschüssen.
Das Resultat:
Politik wird käuflich. Wer Millionen in PR und Berater steckt, bestimmt die Agenda.
Der Bürger verliert. Kleine Unternehmen, Umweltinitiativen, Sozialverbände – sie gehen im Konzert der Großkonzerne unter.
Demokratie wird Illusion. Das Wahlrecht vermittelt ein Gefühl von Einfluss, in Wahrheit aber läuft die Entscheidungsmacht an den Wählern vorbei.
Ein EU-Beamter sagte einmal anonym: „Wir haben oft das Gefühl, nicht für Europa zu arbeiten, sondern für McKinsey.“
Stimmen der Kritik
Transparency International: „Brüssel ist ein Eldorado für Lobbyismus, in dem Konzerne die Regeln diktieren.“
Investigativjournalisten: sprechen von einer „Berater-Republik“, in der nicht mehr Politik, sondern Geld den Takt vorgibt.
Selbst Abgeordnete gestehen, dass viele Texte, die sie in Ausschüssen sehen, bereits durch Lobbygruppen vorformuliert sind.
Doch der Skandal verpufft – zu groß sind die Interessen, zu mächtig die Netzwerke.
Fazit – Demokratie im Schaufenster, Lobby im Maschinenraum
Brüssel und Berlin verkaufen sich als Zentren der Demokratie. Doch der nüchterne Blick zeigt: Hier regieren keine Bürgervertreter, hier regieren Netzwerke aus Konzernen, Kanzleien und Verbänden. Der Bürger ist Zuschauer, das Parlament ist Kulisse, der Lobbyismus ist die wahre Exekutive.
So lange niemand diesen Sumpf trockenlegt, bleibt Europa keine Demokratie, sondern eine Showbühne für Wahlen mit einem Hinterzimmer voller Konzernvertreter. Und die eigentliche Frage lautet:
Wie lange lassen wir uns diese Illusion noch als Realität verkaufen?
Quellen-Dossier: Der Lobby-Sumpf in Brüssel & Berlin
1. Brüssel: Lobbyisten als Machtzentrum
In Brüssel sind schätzungsweise 25.000 bis 30.000 Lobbyisten aktiv, nahezu so viele wie die Beschäftigten der EU-Kommission (ca. 32.000) europarl.europa.eu+4Frontiers+4Column+4.
Nur etwa 11.000 – 12.000 Organisationen sind offiziell im EU-Transparenzregister verzeichnet Transparency International EU+8europarl.europa.eu+8Transparency.org+8.
Die jährlichen Ausgaben für Lobbyarbeit in Brüssel werden auf ca. 1,5 bis 1,8 Milliarden Euro geschätzt Column+3europarl.europa.eu+3Transparency International EU+3.
Laut European Court of Auditors (ECA) sind ca. 29.000 Lobbyisten in Brüssel aktiv, viele davon außerhalb des Registers – ein klares Indiz, dass die Transparenzregeln unzureichend sind theguardian.com+4Reuters+4europarl.europa.eu+4.
2. Die Realität der Transparenz: Eher Papiertiger
Der ECA warnt, dass informelle Treffen, spontane Anrufe oder E-Mails nicht registriert werden müssen – ein klares Schlupfloch für intransparente Einflussnahme europarl.europa.eu+7Reuters+7Transparency register+7.
NGO-Forschung zeigt: 21 % der Teilnehmer bei EU-Workshops zur Regulierung von Big Tech gaben ihre Verbindungen zu Unternehmen wie Google oder Amazon nicht offen an theguardian.com.
Eine Analyse deckte auf, dass Public Affairs-Firmen wie FTI Consulting oder Burson Cohn & Wolfe trotz Grünen-Image hunderte Tausend Euro Lobbygeld von Ölriesen bekommen haben – Tarnmotive statt Transparenz theguardian.com.
3. Deutschland: Lobbyismus mit Rückfahrkarte
Das Lobbyregister ist zwar vorhanden, aber es fehlen Pflichtangaben, und viele relevante Akteure tauchen nicht auf Глобална разследваща журналистикаRisk and Compliancede.wikipedia.org.
Die “Revolving Door” bleibt ein Problem: Politiker steigen nahtlos in lukrative Konzernjobs ein – zum Beispiel:
Ronald Pofalla (ehemaliger Kanzleramtschef) erhielt nach dem Amt einen Jahreslohn von über 1 Mio. € bei der Deutschen Bahn hoganlovells.com+4Risk and Compliance+4research.cbs.dk+4en.wikipedia.org.
Studien zeigen, dass diese Praxis zugenommen hat und auf jene Ministerien mit hoher Industrievernetzung am stärksten zutrifft econstor.eu.
Der Finanzsektor: In Berlin arbeiten ca. 1.500 Lobbyisten für etwa 295 Unternehmen und Verbände, mit einem Jahresbudget von insgesamt mindestens 200 Mio. € – allein knapp 62 Mio. € entfielen auf den Gesamtverband der Versicherungswirtschaft de.wikipedia.org.
Lesen Sie auch:
https://www.webwerk-bg.com/die-heuchlerische-apokalypse/